03 Februar 2014

Amado Crowley: "The Secrets of Aleister Crowley"


Amado Crowley: "The Secrets of Aleister Crowley"

Bei meinem letzten Spaziergang durch die St. Giles / Bloomsbury Gegend in London stiess ich auf einen spannenden kleinen Laden: "Atlantis Books". Wie sich herausstellte, handelt es sich hier um Londons ältesten unabhängigen okkulten Buchladen (es gibt einen von der Theosophischen Gesellschaft betriebenen der noch älter ist), und alleine die doch sehr schrägen Bücher im Schaufenster riefen mich förmlich hinein.

Wie erwartet roch es nach tibetischen Räucherstäbchen, und die etwas leibliche Dame hinter einem mit Büchern und allerlei, nunja, esoterischem Krimskrams vollgestellten Schreibtisch blickte mich bedeutungsschwanger über die Ränder ihrer dicken Hornbrille an. Es fühlte sich an als wäre ich mit einem Mal mitten in einer Geschichte - herrlich!

Bei näherer Betrachtung hat dieser Laden ein paar Spezialgebiete, mit denen ich mich nicht unbedingt auskenne. In meiner Jugend, also vor ca. 20 Jahren, hatte ich eine sehr intensive Phase der Beschäftigung mit allerlei esoterischen und okkulten Dingen. Es war das "fin de siècle", und allerorten spriesen "Esoterische Buchhandlungen" wie Pilze aus dem Boden. Die meisten von ihnen sind - mitsamt dem damals in Deutschland führenden Verlag "Bauer" aus Freiburg - wieder in der Versenkung (Abyss?) verschwunden.

Wie dem auch sei, dieser Laden in London hat sich also vor allem diverse "Hexenwege" als Schwerpunkt gesetzt. Reichlich vertreten ist auch alles aus der Aleister-Crowley-Ecke, Theosophisches, John Dee's System der Henochischen Engelsmagie und ein paar Regalreihen mit Büchern zu allem sonstigen Krimskrams.

Mit Crowley hatte ich mich nie sonderlich beschäftigt. Klar, das Übliche war mit bekannt: einer der wichtigsten Mitglieder des "Golden Dawn" und somit eine der wichtigsten Gestalten des westlichen Okkultismus des 20. Jahrhunderts. Aber berühmt wurde Crowley ja dann für seinen angeblichen "Abfall" von der reinen Lehre - schwarze Magie, Dämonenbeschwörung, schwarze Messen, sexuell verabscheuungswürdige Praktiken, Drogenmissbrauch, Spionage - nichts, was man ihm nicht vorgeworfen hatte.

Bislang hatte mich das dazu veranlasst, alles aus seiner Ecke mit einem Achselzucken zu ignorieren, denn die "Szene" ist schon kompliziert genug; wenn ich einen Drang nach Spirituellem habe, dann lieber ohne Schmuddelkram.

Diesmal jedoch packte mich die Neugier. Leider waren sämtliche Standardwerke, die ich für halbwegs interessant hielt, relativ teuer. Die richtigen Crowley-Schätze (z.B. das Beste aus dem "Equinox"-Magazin) schlägt mit einigen hundert Pfund zu Buche.... also was nehmen wenn man nur etwas oberflächlich hineinschmökern möchte in diese Ecke der Magie (die Crowley sehr geschickt zu Unterscheidungszwecken schon lange vor Hashtags und TM-Bewusstsein als "Magick" bezeichnete). Da blieb mein Blick an dem Buch eines gewissen "Amado Crowley" haften. Das klang interessant, mir war nämlich nicht bewusst, dass "Das Tier der Apokalypse 666", wie ihn seine Feinde "liebevoll" nannten, auch Familie hatte.

Amado Crowley wird auf dem Buchrücken als ein Kind Crowleys bezeichnet, dass dieser bewusst "erschaffen" hatte, damit es als "Gefäss" für die Weitergabe des Erbes seines Vaters - "Magick" - dienen könne.

Angeblich hatte der Knabe einige Lehrjahre mit seinem Vater verbracht und dann später, nach dem Tod Aleister Crowleys (der starb kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs) einige Werke veröffentlicht.

Da ich in England mit dem Handy nur über teures Roaming ins Internet gehen konnte, hab ich von meiner üblichen Angewohnheit abgelassen, mich vor dem Kauf über die Legitimität dieses "Amado" zu informieren. Zudem sprach mich der Preis des Buches dann auch an: 6Pfund 66 Cent - das war doch schon eine Aufforderung zum Kauf! ;-)

Inzwischen habe ich Online erfahren, dass die Masse der "Crowleyaner" und seine Biographen in Amado einen Scharlatan und Lügner sehen, aber nach Lektüre dieses Buches (das erste in einer biographischen Trilogie) muss ich sagen: hier steht wohl Aussage gegen Aussage.

Ich fand das Buch höchst amüsant, der Autor ergeht sich oft in Rechtfertigungstiraden, um den Ruf seines Vaters ins rechte Licht zu rücken. In der Tat hat er einen guten Punkt: die Feinde Crowleys ziehen so viele Register, um seinen Ruf zu beschädigen, dass es tatsächlich verdächtig nach Rufmord ausschaut. So viel Emotion wegen einem Scharlatan? Amado riecht hier Schwefel, leider beschuldigt er die von mir sehr verehrten Freimaurer (wie billig), hinter der Schmutzkampagne gegen seinen Vater zu stecken.

Wenn man also davon absieht, dass das Pendel bei Amado ins andere Extrem ausschlägt (glaubt man ihm ist Crowley fast schon ein Heiliger, zumindest aber der größte Magier, den die Welt je gesehen hat), kann man hier doch einige amüsante Stunden verbringen - ob die Informationen wirklich biografischer Natur sind oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen (dafür kenne ich mich auch viel zu wenig mit der Materie aus), aber für Spannung und interessante Gedankengänge hat es auf alle Fälle gereicht.

Amado legt Aleister Crowley auch das eine oder andere wirklich interessante Bonmot in den Mund, ich empfand die Lektüre also durchaus als Bereicherung.

Auf Crowleys Lehre direkt geht er nicht ein - es gibt aber natürlich viele Anekdoten und naturgemäss fliest einiges in die Erzählung ein.

Als Nächstes müsste ich mir mal eine Biografie zu Crowley zulegen oder einige seiner Texte selbst lesen. Aber im Grunde brauchte ich diese Lektüre vor allem zur Inspiration für mein Romanprojekt, in welchem eben auch gute und böse okkulte Gruppen vorkommen werden.

02 Februar 2014

Ben Aaronovitch: Die Flüsse von London ("Rivers of London")



Ben Aaronovitch: Die Flüsse von London ("The Rivers of London")
(Gegenstand der Rezension: Englische Originalausgabe)

Ben Aaronovitchs erster Roman der Peter-Grant-Reihe ist ein charmantes Buch, welches ein London darstellt, dass nur auf den ersten Blick unserer normalen Welt entspricht. Denn hinter den Ecken dieser modernen Metropole des 21. Jahrhunderts entdeckt der Leser gemeinsam mit dem Hauptprotagonisten, Police Constable Peter Grant, dass die Welt doch nicht ganz so ist, wie uns die Schulweisheit einbleuen wollte.

Dies geschieht ohne Zeigefinger, ohne übermässiges Drama - es handelt sich bei "Rivers of London" in aller erster Linie um einen Kriminalroman, der allerdings ganz unprätentiös immer weitere (magisch-mystisch-esoterische) Thematiken aufgreift. Kaum versieht man sich, und London ist bevölkert von Geistern, Magie, einer geheimen Unterabteilung der Polizei (die in Ein-Mann-Union von Peters neuem Lehrmeister Thomas Nightingale, Polizeiinspektor und Englands letztem Magier, repräsentiert wird), Flussgeistern und -göttern - und jede Menge seltsame Ereignisse machen das Leben des frisch gebackenen Zauberlehrlings zu einer echten Herausforderung.

Was mir persönlich am Besten gefallen hat: Ben Aaronovitch schildert mit viel Liebe zum Detail auch die Handlungsorte, die es natürlich alle auf Londons Karte gibt, und die man heutzutage alle auch per Google Street-View parallel zum Lesen anschauen kann.
Mein derzeitiger Arbeitgeber hat zufälligerweise sein Londoner Büro just in dem Viertel, in welchem sich die Zentrale der magischen Abteilung befindet und sich der eine oder andere Mord und Mordversuch abspielen - was meine monatlichen Trips nach London noch spannender macht (ich habe schon so ziemlich jede Örtlichkeit besucht).

So befindet sich die Zentrale der britischen Magie am Russell Square, unweit des British Museum - und wenn man mit diesem Detail im Hinterkopf an den Häuserfassaden dort entlanggeht - nun, es fügt dem Ganzen einen gehörigen Charme hinzu.

Viele Handlungen spielen im Viertel St. Giles rund um Covent Garden, also auch für typische London-Touristen Orte, die man locker an einem halben Tag abspazieren kann.

Das Buch schafft das Kunststück, ein bisschen "echte" Magiegeschichte humorvoll mit der Handlung eines Krimis und dem Esprit eines Douglas Adams zu vermählen - das Ergebnis ist ein überraschend flotter, frischer und kurzweiliger Roman - nach dessen Ende man schon Lust auf die Fortsetzung bekommt.

Achja, die Handlung: man sollte nicht zu viel verraten, aber es geht um einen alten, unruhigen Geist, der es sich in den Kopf gesetzt hat, scheinbar wahllos in Menschen zu fahren und diese grässliche Morde begehen zu lassen. Im Verlauf der Bessesenheit tötet dieser dann wiederum seinen "Gastkörper".

Natürlich bedarf es der kombinierten Kräfte der magischen und nichtmagischen Einheiten der Londoner Metropolitain Police (und auch die kräftige Hilfe der Flussgötter und -geister der Themse), um diesem Unhold von Geist das Handwerk zu legen - mehr sei hier aber nicht verraten - viel Spass beim selbst entdecken!

Die besten Stories von Jack Williamson (“The Best of Jack Williamson”)

Erstausgabe USA 1978 (Gegenstand der Rezension: deutsche Übersetzung)

Die Science-Fiction-Kurzgeschichten dieses Bandes gehörten zu den ersten SF Stories überhaupt, die ich in jungen Jahren in die Hände bekam. Auf einem Flohmarkt habe ich den auf den ersten Blick billigen und unscheinbaren Band aus dem Hause “Playboy” (ja, die haben damals auch SF-Sammelbände herausgegeben, ich weiss bis heute nicht genau warum) erstanden, nicht ahnend dass ich damit quasi das “Best Of”-Album eines der ganz wenigen Giganten der SF in Händen hielt.

Auf meinem ersten großen Algerienurlaub mit 12 Jahren war das Buch mein ständiger Begleiter, und die Geschichten prägten mich tief. Erst später wurde mir bewusst, welchen prägenden Einfluss Jack Williamsons Stories nicht nur auf meine junge Leserseele hatten, sondern auf das gesamte SF-Genre überhaupt.

Heute ist es dank Internet und Wikipedia ein Leichtes, sich ein Bild von seinem Wirken und Einfluss auf andere SF-Größen wie Heinlein und Asimov zu verschaffen. Doch damals lag der Band quasi gleichberechtigt neben dem 370. Kishon-Sammelband und einer Tonne Ramsch-Liebesromane auf dem Flohmarkttisch - ein wahrer Glücksgriff also!

Doch zurück zu Jack Williamsons Buch.
Die “besten Stories” sind eine gut ausbalancierte Sammlung seines Schaffens - wenn auch keine aktuelle. Denn obwohl Williamson seine ersten Kurzgeschichte, “The Metal Man”, bereits als 20jähriger im Jahr 1928 veröffentlichte - diese 1978 veröffentlichte Kurzgeschichtensammlung kann gar nicht aktuell sein, denn Williamson schrieb noch bis ins hohe Alter: er starb 2006, und seinen letzten Roman hat er noch 2005 veröffentlicht, im Alter von 97 Jahren!

Eine Geschichte, welche mich auch jetzt noch ab und zu beschäftigt (und Grund genug war, das Buch neulich nochmals zu lesen), lautet “Die Hände im Schoss”.
Ich habe insgesamt sechs Jahre bei der Firma Google in Dublin gearbeitet, und mich natürlich (obwohl ich im Vertrieb tätig war) auch mit Google’s Interesse an Daten und den weltweiten Data-Centern beschäftigt. Und auch jetzt kommt Google ja immer stärker auch mit Neuigkeiten zum Thema “Robotik” in die Presse.
Zu meiner Zeit als “Googler” (2007-2013) wurde mir eines klar: wenn es überhaupt eine Firma auf dem Planeten gibt, welche das Zeug hat eine “K.I.” zu erschaffen, dann ist dies Google. Beispielsweise speichert die Firma mindestens einmal täglich das komplette (!) Internet in seinen Datacentern ab. Und keine Version davon wird je gelöscht oder Überschrieben.

Was hat dies mit Jack Williamson zu tun? Nun, eine ganze Menge! In seiner Geschichte “Die Hände im Schoss” geht es nämlich um die uralte SF-Frage (noch lange vor “Terminator” und “Skynet” oder “Battlestar Galactica’s” “Cylonen”), was mit uns Menschen passiert, wenn wir die perfekte KI / perfekte Roboter haben, die darauf programmiert sind, den Menschen zu dienen und dafür zu sorgen, dass ihm nichts, aber auch gar nichts zustossen kann.

Gekonnt entwickelt Williamson hier ein Schreckensszenario absoluten Stillstandes und völliger Unfreiheit des Menschen durch von ihm selbst erschaffene “Diener”.
Andere Geschichten wie z.B. “Die Nase des Hausierers” sind gekonnte SF-Komödien, und in "Das kalte grüne Auge" zeigt er eine hohe Affinität zu asiatischen Religionen (in dem Fall dem Jainismus) und dem Konzept der Wiedergeburt.

Alles in allem ist der Sammelband eine gute Mischung aus ernsten, sozialkritischen, lustigen und philosophisch anregenden Geschichten.

Für alle Fans von SF oder solche, die mal in dieses Genre reinschnuppern wollen - Jack Williamson ist ein Gigant, der leider nie die gleiche Verbreitung wie Heinlein, Lem oder Asimov erfahren hat.